
Blicken wir zurück auf 50 Jahre Bundesliga, dann gilt es nicht lange zu überlegen – schnell kommen die großen Spieler in den Sinn, die starken Persönlichkeiten, Anführer und Haudegen, die ihre Zeit, zumindest aber ihre Mannschaft und deren Spielweise, geprägt haben. Und heute? Heute beschleicht uns mehr und mehr der Gedanke, dass die Gilde der großen Führungsspieler eine aussterbende ist. Emotionslos, glatt, brav, langweilig – diese Attribute fallen uns ein, wenn wir den Großteil der Bundesligaspieler und insbesondere die deutschen Nationalspieler bewerten. Bezeichnend für die neue Phalanx der Langeweile ist deren Auftreten in den Medien: Die aktuellen deutschen Ikonen wie Neuer, Lahm oder Schweinsteiger treten vor die Mikrofone wie die abgebrühtesten Diplomaten, je nach aktuellem Tabellenrang oder Spielergebnis lächelnd oder mit betroffenem Gesichtsausdruck, ergehen sich ein paar Momente in allgemeinen Floskeln, verschwinden und sind samt ihrer Worte umgehend wieder vergessen.
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Foto: Udo M.
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Aber auch hier gilt: Kann man sich einen Holger Badstuber vorstellen, der wie einst St. Paulis Carsten Pröpper betrunken in die Hotellobby pinkelt? Oder Tim Wiese und André Schürrle als Schlägertrupp Basler/Scheuer in einer Pizzeria? Okay, Wiese schon. Aber Schürrle als Prototyp der neuen Generation A wie aalglatt hat im Zweifel noch nie eine Pizzeria von innen gesehen – nicht der Marke „Schürrle“ dienlich, zu ungesund, zu verrucht. Ein Glücksfall boulevardesker Natur, wie ihn der ansonsten eher biedere Gladbacher Torwächter Dariusz Kampa 2005 lieferte, indem er sich vor Journalisten und Kollegen medienwirksam in der Lobby des Mannschaftshotels übergeben musste, wird wohl einmalig bleiben. Die heutige Spielergeneration besäuft sich nicht öffentlich, sondern spielt gemeinsam Tischtennis und trägt dazu als neuzeitliche Hasenpfote einheitliche Energiearmbänder zur Schau. Boatengs kurzfristiger Ausrutscher auf einen vollbusigen C-Promi ist da schon das Höchste der Gefühle. Vermutlich ist es dem Mangel an Alternativen auf seiner Position zu verdanken, dass ihn dieser medial begleitete Fauxpas nicht den Adler gekostet hat.
Aber wie konnte es soweit kommen? Wenn Jogi mit akkurat gefalteten Strenesse-Ärmeln zum großen DFB-Casting läutet, dann wissen die nervösen Teenager, was die Jury von ihnen erwartet. Und die Jungs, die nicht direkt eine Runde weiterkommen, wollen so werden wie die turnusmäßig gekürten Superstars. Starke Charaktere, die sich nicht unterordnen können oder wollen, werden ignoriert bzw. ausgemerzt. Die unrühmliche Ausbootung des Capitanos, zweifellos durch die eigene Verletzung und starke Nachrücker gefördert, war bezeichnend für die Idee Löws und sein Ideal einer neuen Fußballergeneration. Ein Kuranyi, ein Helmes, inzwischen auch ein Wiese, sie alle genügen offenbar nicht eben diesen Löw'schen Ansprüchen der biederen Zurückhaltung.
Domestizieren nennt man es in der Tierwelt, aus wilden Bestien brave Haustiere zu machen. Jogis Jungs sind dabei die Speerspitze im modernen deutschen Fußball, dessen Anforderungsprofil an einen (jungen) Ligaspieler heute ein in vielen Bereichen gänzlich anderes ist als noch vor wenigen Jahren. Bezeichnend ist hier der Umgang mit bzw. in der Öffentlichkeit. Die Spieler sind nicht nur in einer anderen medialen Umwelt groß geworden, sondern werden sehr früh durch Berater und insbesondere die Presseabteilungen der Clubs geschult, eingenordet und gedrillt, wie sie sich im Kontakt mit der Presse zu verhalten haben. Und das Bemerkenswerte daran: Die Spieler gehen heute darauf ein.
Das war früher anders - noch vor zehn Jahren sind die großen Sportmedien wie Kicker und Sport-Bild, natürlich auch die Bild selbst, auf eine gänzlich andere Resonanz innerhalb der Spielerschaft gestoßen, haben dabei Vereinsinteresse und Pressesprecher einfach ignoriert. Die Journalisten hatten nicht nur die Handynummern aller Spieler, sondern konnten sich ohne Wissen des Vereins mit Spielern verabreden, Interviews durchführen und direkt veröffentlichen. Das Bedauern der Pressesprecher des HSV, der Hertha und von Werder Bremen war unüberhörbar, der Situation standen die Clubs allerdings machtlos gegenüber. Ähnliches fatalistisches Lamento gab es von Vereinsseite mit Blick auf die O-Töne der Spieler, die sich unqualifiziert äußerten, sich selbst und den Verein teilweise bloßstellten und damit immer wieder Ärger im Paradies heraufbeschwörten. Aber Medientrainings für Spieler? Heute Gang und Gäbe, vor zehn Jahren in einzelnen Vereinen undenkbar, von der damaligen Spielergeneration belächelt und ignoriert.
Gerade die Boulevardmedien, selbst wenn zum Teil Agreements bestanden, Privatangelegenheiten der Spieler, die nach 22 Uhr vorfielen, nicht zu veröffentlichen, haben den direkten Spielerkontakt gepflegt und perfektioniert, sehr zum Missfallen der Clubverantwortlichen. Wenn Benno Möhlmann früher das Trainingsgelände des HSV verschloss und dann beleidigt mit einer großen Anzahl Journalisten nicht mehr redete, andernorts Stadionverbote für einzelne Pressevertreter erteilt wurden und Bild-Fotografen 50 Meter Abstand zum Trainingsplatz halten mussten, dann zeugte das von einem insgesamt angespannten Verhältnis.
Inzwischen aber
hat sich die Situation derart gewandelt, dass selbst zweitklassige
Nachwuchskicker sehr wohl überlegen, wie sie sich Medienvertretern gegenüber
verhalten und welche unverfänglichen Aussagen sie in Interviews treffen dürfen.
Bei dieser
Entwicklung bleibt zweifellos eine Menge Unterhaltungswert auf der Strecke, und
so verwundert es kaum, dass Deutschlands Medien nach Leitwölfen schreien, die
auf und neben dem Platz den Ton angeben. Ist die gesamte Diskussion also
vielleicht eine inszenierte, die den wahren Wert der Alphamännchen für die
Mannschaft überinterpretiert? Vielleicht ja. Denn Führungsqualitäten im
Fussball kann man auch über spielerische Klasse transportieren, insbesondere
wenn das Spielsystem im Vordergrund steht. Der FC Barcelona oder die spanische
Nationalelf machen es vor, auch bei Zidane und bei Messi genügt(e) die Leistung
auf dem Spielfeld, was zählt ist schließlich „auf‘m Platz“. Diese Perspektive
ist bei Ausnahmekönnern ihres Fachs sicher richtig und nachvollziehbar, insgesamt
allerdings doch etwas romantisch. Denn so emotionslos und brav, wie sich die
deutschen Jungs außerhalb des Spielfeldes gebärden, so wenig ecken sie oftmals
auch auf dem Rasen an. Offenbar verhält es sich so, dass aktuell in Deutschland
nur der, der sich grundsätzlich traut, den Mund aufzumachen und den eigenen
Standpunkt offensiv zu vertreten, vorangehen und führen kann - und als
Führungsspieler anerkannt und medial als solcher positioniert wird. Und ganz
ehrlich, mehr Spass machen Fußballer mit einer großen Klappe doch auch.
Deshalb nährt ein
Motzki Sammer, lebender Gegenentwurf zu Löw, die Hoffnung der schreibenden
Zunft und der Fans, die allesamt nach Geschichten und Typen lechzen. Der
haarlose Feuerkopf hat schon in Jugendnationalmannschaften bewusst Hierarchien
aufgebaut und die Spieler nach kreativen Individualisten, Führungs- und
Mannschaftsspielern unterteilt und zusammengestellt. Da sind wir doch ganz
besonders gespannt, welche neuen bajuwarischen Häuptlinge die nächsten 50 Jahre
Bundesliga dominieren wollen. Schau'n mer mal.
Udo M. (Jahrgang
1977, bekennender Werder-Fan) hat 2003 seine Abschlussarbeit an der
Ruhr-Universität Bochum zum Verhältnis zwischen PR und Journalismus im
Spannungsfeld der Fußballbundesliga geschrieben, indem er u.a. mit
Pressesprechern verschiedener Bundesligaclubs und Sportjournalisten der
Fußball-Leitmedien Interviews führte.
4 Kommentare:
Bajuwarischen Häuptlinge. Da frage ich mich, wie wohl in fünf Jahren der nicht mehr allzu zu junge Thomas Müller durch die Gegend gestikulieren wird...
Stefan Kießling, das alte Alphatier, hat Thorsten Kinhöfer am Wochenende ins Stammbuch geschrieben, seine Leistung in der zweiten Halbzeit sei eine "absolute Frechheit" gewesen. Fast wie Basler, ne? ,)
Schön, dass es das ab und an doch noch gibt. Aber wenn man ohnehin vom Bundesjogi aussortiert wurde, kann man vieleicht auch befreiter den Mund aufmachen ...
Hehe, guter Punkt.
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