Mittwoch, 30. Oktober 2013

Maradona

Was macht eigentlich, Diego Maradona? Na? Maradona feiert heute seinen 53. Geburtstag. Olé! Ansonsten sitzt Maradona zurzeit auf keiner Trainerbank und dürfte müßig gehend im dichten Rauch einer im Mundwinkel sitzenden Havanna seinen eigenen Mythos pflegen. Das taten neulich bei einem PR-Termin in Mailand auch diverse Tifosi, die ihm mit euphorischen Diego-Rufen huldigten. Derlei toller Tribut lief dem kleinen Diego offenkundig wie Öl den breiten Rücken hinunter. Die Süddeutsche kommentierte, er sei empfangen worden wie der »Stolz der Nation« und sah obendrein »den italienischen Nord-Süd-Konflikt für einen Augenblick überwunden«. Neapels einstiger König  war übrigens nur nach Mailand gereist, um in den heiligen Hallen der Gazzetta dello Sport eine DVD-Reihe über seine Karriere zu präsentieren.

Doch wie wir alle wissen, umfasst die sagenumwobene Heldengeschichte der argentinischen Fußball-Ikone nicht nur völkerverbindende Kapitel. Etwa eingedenk der Reliquie, die sich »Hand of God goal«  nennt. Mexiko-City, wir schreiben den 22. Juni 1986. England mühte sich bei dieser brütend heißen WM bis ins Viertelfinale, wo im Aztekenstadion das auf der Insel »heißgeliebte« Argentinien wartete. Wir zappen in die 51. Spielminute: Maradona und Valdanos Doppelpass missglückt, der Engländer Hodge befördert den Ball hilflos in die Luft, der in den englischen Strafraum fällt. Dann nimmt das Drama seinen Lauf: Die rechte Faust Maradonas berührt den Ball schneller als die linke des englischen Keepers Peter Shilton, woraufhin der Ball zum vorentscheidenden 1:0 für den späteren Weltmeister hinter die englische Linie trudelt.


Welch Filou, dieser Diego, der damals nach dem 2:1-Sieg mit großen, unschuldigen Augen Schultern zuckend beichtete: »Es war ein bisschen die Hand Gottes und ein bisschen Maradonas Kopf.« Sicher, das haben wir alle schon oft gelesen. Weniger oft indessen Maradonas Canossagang in Richtung des Fußball-Mutterlandes, den die The Sun knapp 22 Jahre später abdruckte. Wenn er eine Zeitreise machen und die Geschichte umschreiben könne, dann würde er es tun, säuselte Maradona und fuhr gewohnt markig fort: »Aber ich kann es nicht. Das Tor ist immer noch ein Tor. Wir wurden Weltmeister, und ich war der beste Spieler der Welt.« 

Gewiss, der beste Spieler der Welt war Maradona damals tatsächlich. Wir wollen nicht unterschlagen, wie er sich dank seines sagenhaften zweiten Treffers in demselben Spiel in die rührige Riege diverser »Jahrhunderttorschützen« bugsierte, indem er zuvor ein halbes Dutzend englischen Verteidiger zu ausgetanzten Statisten seines »Jahrhundertsolos« degradiert hatte.


Gleichwohl, die Gretchenfrage folgt noch und gehört zu Maradona wie weiland seine Numero Zehn. Jene Frage, ob er der Beste aller Zeiten ist. Tja, gibt es hierauf überhaupt eine Antwort? Vielleicht für manche, die sich dieser Antwort mit einem Augenzwinkern nähern. Maradona dürfte von ihr, im Sound des Fußball-Mutterlandes gesagt, not amused sein. Sie lautet: Maradona good, Pelé better, George Best...

Montag, 28. Oktober 2013

Highlight of the Highland Derby

Willkommen in der Welt der Derbys, von denen am vergangenen Fußballwochenende so einige über die Bühne gingen. Der BVB triumphierte etwa im Revierderby auf Schalke. Im Londoner Derby behielt Arsenal bei Crystal Palace die Oberhand. Ganz zu schweigen von Barca, das im Clásico Real Madrid besiegte. Als Ouvertüre für dieses Derby-Wochenendes diente gleichwohl am Freitagabend das Duell zwischen Ross County und Inverness Caledonian Thistle, welches Highland Derby genannt wird und nicht mit den Highland Games zu verwechseln ist, bei denen robuste rothaarige Recken Kilts tragen und Baumstämme um die Wette werfen. Offenbar lässt sich Schottlands Fußball doch nicht allein auf Glasgows Old Firm reduzieren. Humorige Schotten nennen das Derby aus den Highlands laut englischer Wikipedia gar The Cold Firm.

Inverness Caledonian Thistle aus der Hauptstadt der Highlands ist der größere Klub und wird von dem einstigen englischen Stopper Terry Butcher trainiert. Butcher wurde weiland einmal dadurch berühmt, wie er trotz blutdurchtränktem Turban in einem englischen WM-Qualikick in Schweden per Kopf eine Flanke nach der anderen aus dem Strafraum. Es versteht sich von selbst, dass Butchers Boys einen robusten Spielstil bevorzugen, obwohl ihr blau-rot gestreifte Trikot eher an den FC Barcelona erinnert. Im Frühling 2013 verpasste Inverness übrigens nur knapp den erstmaligen Einzug in die Euro League. Umso schlimmer, dass hierzu eine 0:1-Pleite gegen Ross County, dem Klübchen aus der etwa 20 Kilometer entfernten »Provinz«, beitrug.

Denn Ross County ist in dem 5.000 Einwohner kleinen Städtchen Dingwall beheimatet. Erst seit 2012 kickt das »Hoffenheim Schottlands«, wie Die WELT einmal Ross County etikettierte, in der höchsten schottischen Spielklasse und verfügt nicht nur über einen prätentiösen Hirschkopf im Klubwappen, sondern mit Öl-Tycoon Roy McGregor ebenso über einen finanzstarken Gönner, der als Chairman Ross Countys größtes Geweih trägt. Seit der Gründung anno 1929 residiert Ross County im Victoria Park, der seit besagtem Aufstieg »Global Energy Stadium« heißt und mit 6.700 Plätzen erstaunlicherweise mehr Kapazität als Dingwall Einwohner vorzuweisen hat.

Von dem Highland-Derby jenes letzten Freitagabends im Oktober 2013, wird im Übrigen nur ein Highlight in die Annalen eingehen. Und »elektrisieren«, wovon man in Derby-Kontexten so gern fabuliert, dient hier durchaus als gutes Stichwort. Denn während die Kicker nach torloser erster Halbzeit ihren Pausentee in den Kabinen genossen, geschah Folgendes. Die Lampen von drei der vier zuvor hell leuchtenden Flutlichtmasten verdunkelten sich plötzlich, flackerten kurz wieder auf, um letztlich für den Rest des Abends (Clip ab Min. 2:55) schwarz zu bleiben. Das Highland Derby wurde abgebrochen. Indeed, das ist bisher in der Historie jenes Derbys buchstäblich die düsterste Episode, die sich dann wie ein Leuchtfeuer medial um die Welt ausbreitete.


Dabei sind die Lichter bei Ross County, als die kleine Arena dort ironischerweise noch nicht »Global Energy Stadium« hieß, nie ausgegangen. Selbst, so besagt es die Legende, als sich Anfang der 90er Jahre Mäzen McGregor ausschließlich im Öl-Business Aberdeens und der damals fünftklassige Ross County Football Club noch in der nebulösen wie nebligen Highland Football League gegen die Brora Rangers oder Clachnacuddin verdingte...

 

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Besser als van Basten?

Als größte Perle des Fulham Football Clubs gilt bei vielen wohl dessen altehrwürdiges Stadion. Jenes Schmuckkästchen namens Craven Cottage liegt geradezu malerisch am Ufer der Themse inmitten von viktorianischen Häuserzeilen. Dort im pittoresken Craven Cottage gaben bereits viele prominente Kicker wie Jari Litmanen, Bobby Moore oder auch George Best im anklingenden Herbst ihrer klangvollen Karrieren ihre Visitenkarte ab. Diese Zeiten haben sich beim Fulham FC übrigens nicht geändert. In Fulhams aktuellem Kader tummeln sich noch immer etliche Altstars, die ihre besten Jahren zwar schon etwas hinter sich haben, aber nun jene schwarz-weiße Kluft von Londons ältestem Fußballverein tragen.

Da wären der ewige irische Dribbler Damien Duff, der norwegische Rekordinternationale John Arne Riise, Bayer Leverkusens früherer bulgarische Bomber Dimitar Berbatow, der via Tottenham und Manchester United den Weg nach Fulham fand, oder auch der altvordere Grieche Karagounis. Inmitten von Fulhams „Oldtimern“, die der einstige HSV-Coach Martin Jol trainiert und die wie so oft irgendwo im Universum des Premier League-Mittelmaßes umherkreisen, sind ebenso verheißungsvolle Novizen zu finden. So wie der aus Mazedonien stammende Schweizer Pajtim Kasami, der wahrhaftig einen Goldenen Oktober verlebt. Denn nach der gelungenen Qualifikation der Schweiz für die WM do Brasil ließ ihn Ottmar Hitzfeld wenige Tage später im eidgenössichen Dress gegen Slowenien debütieren.

Doch jener 21-jährige Kasami kam auch am Montag gar aus dem Jubilieren nicht mehr heraus. Fulham gastierte beim Londoner Nachbarn Crystal Palace, rang diesen mit 4:1 nieder, wobei Kasami wohl jeden der 24.881 Zuschauer im Selhurst Park mit seinem fulminanten Volleyknaller zum zwischenzeitlichen Ausgleich verzückte. Eingedenk von Kasamis Coach Martin Jol, der ganz Niederländer direkt dem Wundertor von Marco van Basten im EM-Endspiel '88 gegen die UDSSR gedachte. Es war der wichtige Führungstreffer, mit dem Marco van Basten den Weg für Oranje zum legendären EM-Titel von München ebnete.



Allerdings schwelgte Jol nicht nur, Kasamis »Wahnsinnskiste« (Blick.ch) stufte Jol später gar noch höher als das Jahrhundertor van Bastens, der wie Kasami aus spitzem Winkel volley in den Winkel traf, ein: »Ein Vergleich mit Marco van Bastens Traumtor 1988 ist schwierig. Aber: Der Treffer von Pajtim war noch besser«. Also, kick it like Kasami!

Seither geht der Clip von Kasamis »Wahnsinnskiste« um die Welt. Ob da selbst Fulhams Edelfan Hugh Grant vergnügt in die Hände geklatscht hat? Auch wenn ihm ein Montagabendkick bei Crystal Palace kein Besuch wert gewesen sein dürfte. Seht selbst! Was sagt Ihr?


Für mich bleibt Marco van Bastens »legendäre Bogenlampe« (Spiegel Online) nach wie vor magischer. Vielleicht, weil es sich um eine Momentaufnahme aus einem EM-Endspiel handelt, die noch immer eine fast mystische Wirkung versprüht. Vielleicht, weil damit ein Montagskick im Selhurst Park doch nicht ganz mithalten kann. Vielleicht aber auch, weil ich ein wenig nostalgisch bin...

Sonntag, 20. Oktober 2013

Über Jogi Löw und seine »Spielwiese im Paradies«

Schau an: der DFB hat den Vertrag von Joachim, Jogi, Löw und seines Trainerteams bis 2016 verlängert. Ausgerechnet »Kaiser« Franz Beckenbauer, unter dessen Regentschaft die Nationalelf 1990 letztmals einen WM-Titel gewann, gratulierte als einer der ersten: »Der DFB und Löw passen zusammen. Auf der einen Seite hast du einen Weltklasse-Verband und auf der anderen Seite einen Weltklasse-Trainer. Ich kann beiden Parteien nur zu der Entscheidung gratulieren.«

Um Sinn und Unsinn dieser Maßnahme in Anbetracht der bevorstehenden WM in Brasilien  oder um »Titelhuberei« [sic] soll es hier nicht gehen, ebenso wenig um eng anliegende hellblaue Pullover, leichte Seidenschals oder Löws prägnanten alemannischen Akzent. Mit högsch'der Sorgfalt ausgesucht, präsentiert »Der Libero« nun zehn Fakten über den aktuellen Bundestrainer:

1. Um zu Beginn etwaigen Irritationen zu begegnen. Jogi Löw kann als Trainer durchaus Titel gewinnen. Immerhin holte er mit dem FC Tirol Innsbruck anno 2002 die österreichische Meisterschaft Österreichs, mit dem VfB Stuttgart, inklusive des Magischen Dreiecks Bobic-Balakov-Elber, errang Löw 1997 gegen Energie Cottbus den DFB-Pokal.

2. Als Spieler in den 70er und 80er Jahren blieben Löw derartige Triumphe versagt. Immerhin berief ihn sein Leib- und Magenklub SC Freiburg 2010 zum Ehrenspielführer. Eine Ehre, die beim SC davor seit 1927 lediglich fünf Spielern zuteil wurde.

3. Ehre, wem Ehre gebührt. Schließlich ist der einstige Stürmer mit 81 Treffern noch immer Rekordtorschütze des SC Freiburg. Alle seine Treffer erzielte Löw übrigens für die Breisgauer in der 2. Bundesliga. Es war eine Zeit, als Volker Finke noch genauso weit vom Trainerjob an der Dreisam entfernt schien wie Löw von seinem Amt als Bundestrainer.

4. Eine klangvolle Karriere als A-Nationalspieler oder gar ein A-Länderspiel blieb Löw verwehrt. Im allerersten Länderspiel des neu gegründeten U 21-Juniorennationalteams 1979 in Polen wurde Löw von Trainer Berti Vogts für Thomas Allofs zur Halbzeit eingewechselt und stürmte damals Seite an Seite mit zwei späteren Weltmeistern von 1990. Richtig, Löw gehörte zur Generation um Pierre Littbarski, Rudi Völler und einem gewissen Lothar Matthäus.

5. Insgesamt heuerte Löw als Spieler (252 Einsätze) zwischen 1978 und 1989 gleich dreimal beim SC Freiburg an. Zwischendurch versuchte sich der heute 53-Jährige mehrmals in der Bundesliga und brachte es dort auf insgesamt 52 Einsätze und sieben Tore. Die faz etikettierte diese Bilanz einmal nüchtern als eine »unauffällige Spielerkarriere«.

6. Seine Stippvisiten in der Bundesliga absolvierte Löw beim VfB Stuttgart, Karlsruher SC und bei Eintracht Frankfurt. Was sämtliche Stationen gemein hatten? Offenbar ganz »Traditionalist« kickte Löw in der Bundesliga ausschließlich bei Gründungsmitgliedern und kam anders als in Freiburg nirgendwo über eine Joker-Rolle hinaus.

7. Als Vereinstrainer coachte Löw in den 90er Jahren mit dem VfB Stuttgart und dem Karlsruher SC gleich zwei seiner drei Klubs, für die er in der Bundesliga die Stiefel geschnürt hatte. Mit dem VFB erreichte er 1998 gar das Europapokalfinale der Pokalsieger, unterlag dort aber dem FC Chelsea. Im Ausland trainierte Löw als Proficoach mehr oder weniger glücklos unter anderem in der Schweiz den FC Winterthur, in Österreich neben Innsbruck Rekordmeister Austria Wien sowie in der Türkei Fenerbahce Istanbul und Adanaspor.

8. Als Bundestrainer steht Löw im Duell gegen England im Wembleystadion vor seinem 100. Länderspiel und ist der zehnte Nationaltrainer in der Geschichte der Nationalelf. Bei jedem seiner bisherigen drei Turniere erreichte Löw mit der Nationalelf mindestens das Halbfinale.

9. Jener kleine Kreis an Nationalspielern, die der in der Konfliktkommunikation als - sagen wir einmal - eher scheu geltende Löw aus diversen Gründen nicht mehr berücksichtigt (hat), liest sich zugegebenermaßen wie ein kleines Who is Who des deutschen Fußballs: Ballack, Frings, Kuranyi, Kießling, Weidenfeller. Im Wartestand: Gomez, Hummels, Großkreutz und Klinsmann.

10. Verdächtig oft wurde der feinsinnige Jogi Löw in seiner Amtszeit als Bundestrainer von Günter Netzer goutiert, der sich in Kritikphasen häufig in Kolumnen oder Interviews hinter Löw stellt. Schier zeitlos stilbildend ist hier wohl folgende Netzer'sche Antwort in einem faz-Interview während der WM in Südafrika. Im Übrigen auf die Frage, ob er Löw böse wäre, wenn dieser nach jener WM hinschmeißen sollte:

»Ja, ich wäre Löw böse, wenn er aufhört. Das ist wirklich so. Ich mag ihn sehr, ich schätze ihn sehr. Es gibt überhaupt keinen Grund hinzuschmeißen. Diese Mannschaft ist sein Werk - und dieser Weg ist noch lange nicht abgeschlossen. Das gibt man nicht auf. Und es gibt auch weit und breit keinen besseren Job für ihn. Es sei denn, er hat das Kapitel Nationaltrainer für sich erledigt und er möchte in den Klubfußball und jeden Tag die Spieler um sich haben. Das ist das einzige Argument, das ich akzeptieren würde. Aber die Voraussetzungen, die er bei der Nationalmannschaft vorfindet, gibt es nirgendwo sonst. Das ist eine Spielwiese im Paradies.«
 

Dienstag, 15. Oktober 2013

Genialer Grätscher aus Göteborg

Deutschlands letzter Auftritt in der WM-Quali in Schweden mutet als Spiel um die Goldene Ananas an, haben beide Teams immerhin das Ticket nach Brasilien oder in die Relegation gelöst. Spannungshemmend wirkt dazu, dass in Stockholm mit dem gesperrten Zlatan Ibrahimovic der prominenteste »Schwedenhappen« nicht mit von der Partie sein wird. Doch um Zlatan soll es sich nun ausnahmsweise einmal nicht drehen. Eher um Glenn Hysén, einen der wohl besten schwedischen Stopper aller Zeiten...

Die schwedische Verteidigerlegende Glenn Hysén und Diego Maradona haben erstaunlicherweise gleich mehrere Dinge gemeinsam. Zum einen wurden beide am 30. Oktober geboren. Zum anderen waren sie in ihrer Hauptschaffenszeit in den Achtzigern jeder in seinem Ressort wunderbare Solisten. Über Maradonas Ballfertigkeiten braucht man sicher kaum Worte zu verlieren. Hysén hingegen war ein antizipierender Innenverteidiger, ein humorloser wie genialer Grätscher und damit ein wahrhaftiger Sliding Tackling-Solist.

Als Kaleidoskop für Hyséns Fertigkeiten soll uns ein Qualifikationsmatch für die WM 1990  dienen, welches Hysén mit Schwedens (alte) Wembleystadion führte. Dort berannten die von John Barnes und Gary Lineker angeführten Engländer fast pausenlos den schwedischen Strafraum, erreichten diesen jedoch fast gar nicht. Denn jener Glenn Hysén, mit der Kapitänsbinde um den linken Arm und der blauen Nummer drei auf dem gelben Trikot der Tre Kronors, avancierte zum so genannten schwedischen Turm in der Schlacht. Hysén lief den Hausherren reihenweise die Bälle ab und ließ ein ums andere Mal seine Grätschqualitäten aufblitzen. Es versteht sich von selbst, ohne dabei auch nur ansatzweise Foul zu spielen. Wie etwa im zweiten Abschnitt, als er dem einschussbereiten Lineker im schwedischen Sechzehner schon beinah virtuos grätschend das runde Leder abluchste, fast katzenhaft geschmeidig wieder auf die Beine kam und sogleich den Schwedens Gegenangriff einleitete.


Alt sah Hysén, der damals für den AC Florenz in der Serie A spielte, eigentlich nur etwas wegen seines so genannten grau melierten Schopfes aus und empfahl sich bei seinem persönlichen Sliding Tackling-Festival an diesem milden Abend im Herbst '88 offenbar nachhaltig den Spähern des FC Liverpool, dessen roten Dress er kurz darauf tragen sollte. Und das alles in einer längst vergangenen Zeit, als das strenge Reglement der UEFA lediglich erlaubte, zwei Ausländer gleichzeitig in der ersten Elf auflaufen zu lassen. Neben seinen Gastspielen in Florenz und Liverpool stand Hysén im Ausland zudem in Diensten des PSV Eindhoven. In Schweden wurde Hysén, dessen Karrierestart Ende der Siebziger ein gewisser Sven-Göran Eriksson ermöglichte, vor allem in seiner Heimatstadt beim IFK Göteborg eine große Nummer. Im blau-weißen Trikot des schwedischen Rekordmeisters feierte Hysén nicht nur diverse Meistertitel und Pokalsiege, gleich zweimal gewann Hysén mit dem IFK in den Achtzigern den UEFA-Pokal.

Gut zwei Dekaden nach seinem Karriereende beschränkt sich der heute 53-jährige Hysén nicht nur allein auf seinen Legendenstatus. Wie auf YouTube vortrefflich zu beobachten ist, kroch er einmal im Rosenborg Trondheim-Trikot durch Fußballstadien oder schmettert mitunter in prominenten Gesangstrios alte ABBA-Schlager. Nicht zu vergessen: seit knapp drei Jahren trainiert Hysén, dessen ältester Sohn Tobias im schwedischen Kader gegen Deutschland steht, den in Göteborg ansässigen Drittligisten Utsiktens BK. Dort ist als Verteidiger längst Hyséns jüngster Sohn Anton in die Fußstapfen von Vater Glenn getreten. Sich international einen Namen machte sich der mutige Anton übrigens 2011, als er in dem schwedischen Fußballmagazin Offside sein Coming-Out bekannt gab.

Der Artikel ist in älterer Version in dem Fußball-Blog Thor Waterschei erschienen.

Sonntag, 13. Oktober 2013

Auf zum Zuckerhut

Viva Colonia! Köln war am Freitagabend für die deutsche Nationalelf wieder einmal ein gutes Pflaster. Dank eines hochverdienten 3:0-Sieges gegen erwartbar kampfstarke Iren, die in Spiel eins nach der Entlassung von Giovanni Trapattoni eine vielbeinige Variante eine irischen Catenaccios aufzogen, qualifizierten sich die Nationalelf für die WM 2014 in Brasilien. Die besten Iren des Abends waren neben den fantastischen mitgereisten Fans, Irlands toller Torwart Forde und der ergraute irische Barde Johnny Logan, der einst zweimal den ESC gewann und vor dem Anpfiff anmutig die irische Hymne Amhrán na bhFiann schmetterte.

Nach den siegreichen 90 Minuten dröhnte selbstverständlich das erwähnte Viva Colonia aus den Kölner Stadionlautsprechern. Jogis Löwen drehten währenddessen pflichtbewusst ihre Ehrenrunde und die Zuschauer schwenkten dazu artig ihre Fähnchen. Alles ansprechend für die Menschen vor den Fernsehschirmen, wie diese früher im Sprech öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten hießen, durchchoreografiert. Zu spüren war auf dem Rasenrechteck allerorten Erleichterung. Darüber, die hohen Erwartungen als Gruppenfavorit erfüllt und das verheißene WM-Ticket gelöst zu haben. Überschwänglich jubelnd in die Arme gefallen sind sich Jogis Löwen freilich nicht. Allerorten ansteckender Enthusiasmus auf dem Rasen und den Rängen sieht doch etwas anders aus. Oder nicht? Der Funke sprang leider nicht so über, wie etwa im verregneten November 1989 in Köln.

Ich erinnere mich, wie im einstigen Müngersdorfer Stadion der Fußballnation ein kollektiver Stein vom Herzen fiel, als Lokalmatador Thomas Häßler gegen wackere Waliser mit seinem Siegtor das zum 1990er WM-Ticket löste und den Weg zum WM-Titel in Italien ebnete. Die von Teamchef Franz Beckenbauer trainierte Elf um Lothar Matthäus, Rudi Völler oder Andy Brehme schien Begeisterung entfachen zu können. Ein knappes Vierteljahrhundert später sind die Konstellationen, Vorzeichen und auch die Mentalitäten sowie Spielkultur untrüglich andere, so dass ein Vergleich verschiedener Generationen wie so oft a priori hinkt.

Was bleibt, ist das dieser Tage so oft beschworene und in jenem November 1989 zu Grunde gelegte Kölner Omen. Nachdem nun das WM-Ticket wie 1989 erneut in Köln gelöst wurde, dürfen wir demnach verstärkt hoffen und werden gern orakeln, dass Jogis durch dieses Omen gestärkte Nationalelf in Brasilien Weltmeister werden wird. Stören wir uns gar nicht an dem widerstreitenden Omen, wonach es noch nie einer europäischen Nationalmannschaft gelang, in Südamerika zum Weltmeister zu avancieren. Die Neue Osnabrücker Zeitung schrieb am Samstagmorgen dennoch und offenbar in ergebener Gefolgschaft jenes Kölner Omens, der Aufstieg zum Gipfel des Zuckerhuts könne beginnen.

Schaun mer mal, wie beschwerlich dieser Aufstieg 2014 sein wird. Ob der aktuelle Bundestrainer wohl weiß, dass jener Gipfel des knapp 400 Meter hohen Granitfelsens auch per Seilbahn erreichbar ist? Diese Seilbahn heißt übrigens O Bondinho. Das lässt sich zwar hören. Schier ausgeschlossen dürfte indes sein, dass einer der nächsten brasilianische Superstars diesen Namen trägt. Wer will halt schon als Erbe Pelés ausgerufen werden und übersetzt zugleich die Einschienenbahn heißen. In diesem Sinne: auf zum Zuckerhut...

 

Freitag, 11. Oktober 2013

Nebulöser Neuneinhalber

Es ist gar nicht so einfach in der weiten Welt des Fußballs auf Ballhöhe zu bleiben. Die Tage einer Saison vergehen so rasant wie David Odonkor einst über die Flügel sprintete. Verfügte Jogi Löw etwa noch neulich über eine ansprechende Stürmer-Garde, sieht es vor den Länderspielen gegen Irland und in Schweden geradezu mau aus, in der Spitze von Löws Nationalelf. Daher kam mir nun ein Ereignis in den Sinn, welches ich längere Zeit verdrängt hatte. Es geht um einen circa ein Jahr alten Donnerstagskicker, der mir zuletzt in die Hände fiel, als ich das Altpapier entsorgte.

Der Wind blätterte wie in einem schlechten Film die letzte Seite auf und von dort sprach plötzlich eine Bundesliga-Legende exklusiv zu mir.  »Was machen Sie eigentlich, Manni Burgsmüller?« hatte der kicker  den noch immer amtierenden Rekordtorschützen des BVB (135 Treffer) in der Bundesliga gefragt. Und Burgsmüller sollte wortreich davon schwelgen, wie er dank Otto Rehhagel einst als Methusalem Werder Bremens noch mit 38 Jahren die Meisterschale in die Höhe stemmen durfte. Dazu war von seinem Bedauern zu lesen, zum Ende der wilden 70er nur ganze drei Mal den DFB-Adler auf der Brust getragen zu haben.

Burgsmüller unkte, damals  seiner Zeit voraus gewesen zu sein und vorortete sich selbst als »Neuneinhalber« Er sei eine »neuneinhalb« gewesen, fuhr er fort, wie sie Dortmunds Marco Reus oft bei Borussia Mönchengladbach gegeben habe.  Reus sei zwar schneller unterwegs, er selbst, also Burgsmüller, wäre dafür torgefährlicher gewesen. Und siehe da, das schier zeitlose Schlitzohr Burgsmüller unkte weiter, jene Position womöglich erfunden zu haben. Leider hätten die früheren Bundestrainer Derwall und Schön geradezu verkannt, so bedauert Burgsmüller, dass er als zurückgezogene Spitze am stärksten gewesen sei. Keine Rede war hingegen von den seinerzeit kapitalen Konkurrenten wie Kalle Rummenigge oder Klaus Fischer. Was schließt man daraus? Offensichtlich war für derlei nebulöse »Neuneinhalber«, damals die Zeit noch nicht reif, zumindest in der Nationalelf .

Was besagten Klaus Fischer angeht, vergaß good old Manni Burgsmüller allerdings zu erwähnen, wie Fischer anno 1977 in seiner Paradedisziplin gegen die Schweiz das deutsche Tor des Jahrhunderts erzielte. Und Burgsmüller? Der stand an jenem Abend, an dem er im Stuttgarter Neckarstadion sein Debüt mit dem Adler auf der Brust feierte, in der Nähe von Fischers Geniestreich entfernt und schaute dem Schalker »Fallrückzieher-König« zu.


Nur wenige werden im Übrigen wissen, dass Burgsmüller an jenem Abend selbst ein durchaus sehenswertes Fallrückziehertor unter die Unterkante der eidgenössischen Latte zimmerte, welches letztlich nicht zählen sollte. Im YouTube-Kosmos findet man als »Burgsmüller Bicycle Kick«. Dennoch wabert es im Kernschatten von Fischers Jahrhundertor ebenso nebulös vor sich hin wie Burgsmüller weiland den »Neuneinhalber« gab.


Ob Jogi Löw einen juvenilen Burgsmüller gegen Irland in dessen Paraderolle hätte gebrauchen können? Wir werden es nie erfahren...

 

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Blogstöckchen: Länderspielpause

Länderspielpause! Ja, da ist sie. Wie auch das Blogstöckchen, das FCS-Blogger Carsten Pilger in diesen Blog hinüberwarf. Vielen Dank. Ich nehme es gerne auf und bedanke mich ebenso für sein geäußertes Mitgefühl anlässlich des verzichtbaren Segelstreichens meiner Lieblingskicker von Werder Bremen in der 1. Pokalrunde bei Carstens Lieblingsklub, dem 1. FC Saarbrücken.
 
 
 
Doch genug der Einleitung. Auf zur Beantwortung des kleinen Fragenkatalogs, den Carsten an sein Blogstöckchen gebunden hat:
 
Bislang bestes Spiel 2013/2014?
SV Werder Bremen - 1. FC Nürnberg 3:3
Wie sich am Resultat unschwer erkennen lässt, sprang am letzten Septembersonntag für Werder gegen die Glubberer leider kein Heimsieg heraus. Von der vierten Reihe der Südtribüne des Weserstadions aus betrachtet, fühlte sich Werders spielfreudiges Spiel, inklusive einer 2:1-Führung, bis zum Halbzeitpfiff allerdings an, als befinde man sich in den besten Jahren der Schaaf-Ära. Werder endlich wieder wunderbar, ein famoses Gefühl. Selbst, wenn das Endergebnis einen eher derbe in die Realität zurückholte...
 
Absolutes Langweilerspiel 2013/2014?
Färöer-Inseln – Deutschland 0:3 (EM-Quali)
Ein Langweiler? Sicher das deutsche Gastspiel auf den Färöer-Inseln. Die Vorberichte über Land und Leute auf den Schafsinseln im hohen Norden sowie die mediale Erinnerung an die Fredi-Bobic-Gedenkmarke  waren weitaus spannender als die 90 Minuten von Thorshavn. Von denen habe ich lediglich Mertesackers Führungstreffer sowie die windigen Anfangsmomente mitbekommen habe. Erst der Schlusspfiff verbunden mit Gerd Gottlobs finalem Kommentar haben mich wieder geweckt. Gottlob!
 
Welcher Trainer ist mir angenehm positiv aufgefallen?
Thomas Schaaf
Bekanntlich ist Schaaf derzeit ohne Traineramt- und würden. Umso beeindruckender empfand ich es, dass sämtliche mehr oder weniger goutierten HSV-Gerüchte sich als Sturm im boulevardesken Wasserglas herausgestellt haben. Schaaf ist und bleibt halt 100 % Werder!
 
Welcher Trainer nicht?
Jürgen Klopp
Nach Kloppos Narretei von Neapel träume ich noch immer von seiner Grimasse gegenüber dem vierten Offiziellen und wache nachts deshalb bisweilen gar entsetzt auf. Daher wünsche mir, dass nicht so schnell weitere Klopp-Grimassen von den unzähligen TV-Kameras eingefangen werden. Und Kloppo, dass ihm irgendwann infolge dessen verzichtbare Falten erspart bleiben.
 
Welcher mediale Hype hat zuletzt genervt?
Eindeutig die immer wieder medial aufgewärmte »K-Frage«. Es darum, wann und ob Jogi Löw den Martin Max seiner Generation, Stefan Kießling, wieder oder auch nicht nominiert. Völlig gleichgültig ist hierbei, ob Bayer Leverkusens blonder Franke nun zu stark, international zu schwach oder doch Deutschlands in der Tat letzter Mittelstürmer sein sollte. Ich befürchte, dass Jogi eher Per Mertesacker als »echten Neuner vom Range eines Horst Hrubesch« ausruft, bevor »Kieß« zum  nationalen Notnagel erklärt wird.  Also, die  »K-Frage« ist doch längst ausgekocht...
 
Meine Mannschaft hat bislang…
…elf Punkte auf dem Konto und sollte rasch mindestens weitere 24 sammeln, damit der von »Kaiser Franz« orakelte Abstieg Werders tatsächlich kein Thema wird...
 
In der Länderspielpause werde ich…
…ganz genau hinschauen, ob irgendein irischer Nationalkicker (#Abwehrrecke, #Stopper) Werders Defensive die notwendige Robustheit verpassen könnte.
 
Blogstöckchen - das Prinzip:
Fragen kopieren, im eigenen Blog beantworten. Ob auf Zuwurf oder mit Aufheben des Stöckchens, entscheidet Ihr ganz alleine. Alles kann, nichts muss! Ich werfe das Stöckchen mal weiter zu »Im Schatten der Tribüne« und zu »Catenaccio«.

Foto: der-Libero.de